von Gesa Schölgens


Revision des journalistischen Selbstverständnisses
Das traditionelle Selbstverständnis von Journalisten als unbeteiligte Beobachter von Ereignissen bedürfe einer Revision: “Es geht darum, den Journalimus als nolens volens immer beteiligten Faktor des Geschehens zu begreifen, über das berichtet wird. Anzustrebende journalistische Unabhängigkeit sollte nicht mehr mit Unbeteiligtsein gleichgesetzt werden”, sagte Pöttker. Im Wegbrechen von Anzeigeneinnahmen bei der Presse sieht der Medienwissenschaftler auch Chancen: “Für Journalisten besteht der Vorteil darin, dass sie sich weniger mit Erwartungen von Werbekunden auseinandersetzen müssen und sich besser auf die publizistische Qualität ihrer Produkte konzentrieren können.” Um bisher vernachlässigte Publikumssegmente wie ethnische Minderheiten besser erreichen zu können, sei eine Flexibilisierung traditioneller Professionalitätskriterien angezeigt: Dies bedeute die konsequente Orientierung an der Öffentlichkeitsaufgabe unter kulturell und historisch veränderten Bedingungen, und nicht, aus Standards wie der perfekten Sprachbeherrschung oder den Trennungsgeboten allgemeingültige Prinzipien zu machen.

Gesellschaftliche Funktion dank Ökonomisierung
Birkners Fazit: “Die Phasen der Ökonomisierung haben sich als durchaus funktional erwiesen. Die Ökonomisierung der Medien am Beginn des 20. Jahrhunderts gab dem modernen Journalismus erst jene Struktur, die ihn in die Lage versetzte, seine Funktion für die Gesellschaft zu erfüllen.” Am Ende des 20. Jahrhunderts sieht Birkner allerdings die Strukturen des Journalismus durch Kolonialisierung bzw. Entdifferenzierung deformiert: Die Medien seien zunehmend der ökonomischen Marktlogik unterworfen. Aufgrund der Erosion des Anzeigengeschäfts und der Hyperprofessionalisierung des Journalistenberufs (Stichwort “Eierlegendewollmilchsau”) drohe eine massive Deprofessionalisierung. Dennoch mahnte Birkner, geduldiger zu sein, was das Internet als neue Einnahmequelle für Verlage betreffe.

Bunte Palette an Genres und Themen
Im Resümee ihrer Studie stellte Kinnebrock fest, dass Journalistinnen um 1900 wie ihre männlichen Kollegen überwiegend aus dem bildungsbürgerlichen Milieu stammten (79 Prozent). “Die meisten arbeiteten in Großstädten und Metropolen wie Berlin und Wien”, so die Kommunikationswissenschaftlerin. Der Großteil der Journalistinnen war der Inhaltsanalyse zufolge als Feuilletonistinnen tätig, sie belieferten also Periodika mit literarischen Produkten. Bezüglich der bevorzugten Genres und Publikationsmedien zeigte sich Kinnebrock zufolge, dass die Frauen eine bunte Palette an Genres und Themen in unterschiedlichsten Medien bearbeiteten. Etwa ein Drittel der Journalistinnen befasste sich mit überwiegend frauenaffinen Sachthemen, dabei ging es sowohl um Themen wie Mode und Haushalt, aber auch um die Frau in der öffentlichen Sphäre. Eine Kontinuität sah Kinnebrock darin, dass Frauen im Journalismus damals wie heute überproportional als freie Mitarbeiterinnen und in Teilzeit arbeiten, in Führungspositionen unterrepräsentiert und stärker in der Unterhaltungssparte vertreten sind.

Entwicklung aus missionarischen Motiven heraus
Einen Gesinnungsjournalimus konnte man Bösch zufolge durchaus auch in Großbritannien festmachen, hier traten es bereits Ende des 19. Jahrhunderts Phänomene wie Lobby- und Kampagnenjournalismus auf. Als ein Beispiel für die politische Positionierung britischer Zeitungen nannte Bösch die Berichterstattung des Guardian über die Concentration Camps im Burenkrieg sowie den Marconi-Skandal. Das Fazit des Historikers: Der investigative Journalismus habe sich auch in den angelsächsischen Ländern aus missionarischen Motiven heraus entwickelt (aus den “views” wurden “news”). Für seine Prägung sei die herrschende politische Kultur entscheidend.
Links:
- Homepage der DG PuK Tagung 2011 in Dortmund
- Thomas Birkner: Das Jahrhundert des Journalismus – ökonomische Grundlage und Bedrohungen (pdf)
- Susanne Kinnebrock: Journalismus als Frauenberuf anno 1900 (pdf)
Rezensierte Bücher zum Thema “Journalismus als Beruf”:
- Wolfgang Donsbach; Mathias Rentsch; Anna-Maria Schielicke; Sandra Degen: Entzauberung eines Berufs
- Wolfgang Duchkowitsch; Fritz Hausjell; Horst Pöttker; Bernd Semrad (Hrsg.): Journalistische Persönlichkeit
- Michael Meyen; Nina Springer: Freie Journalisten in Deutschland
- Stephan Weichert; Christian Zabel (Hrsg.): Die Alpha-Journalisten 2.0
- Michael Meyen; Claudia Riesmeyer: Diktatur des Publikums
- Michael Meyen; Nina Springer: Freie Journalisten in Deutschland