Rezensiert von Britta Neitzel


Auf dieses Modell muss die Leserin jedoch 370 Seiten warten, denn zunächst widmet sich Backe ausführlich der Rahmung seines Themas. So beschäftigt er sich im zweiten Kapitel auf 60 Seiten mit der Beschreibung des Untersuchungsgegenstands. Darauf folgt ein mit “Stand der Forschung” betiteltes Kapitel, in dem man die in der Einleitung in Aussicht gestellte Systematisierung der Erkenntnisse der Game Studies vermutet. Doch wartet Backe mit einer Überraschung auf, nämlich der Einführung einer neuen Disziplin, den “narrative gaming studies”. Hier diskutiert der Autor unterschiedliche Ansätze und Beiträge aus dem Bereich der Game Studies, die sich mit der Frage der Narrativität von Computerspielen beschäftigen. Die Gründe für die Auswahl der Beiträge, auf die Backe zum Teil sehr genau eingeht, bleiben offen. Jedoch scheint es so, als würde er den Stand der Forschung seiner selbst ersonnenen Disziplin hier darbieten, um andere Forschungsansätze abzuqualifizieren und später nicht mehr auf diese eingehen zu müssen. So greift er in den Kapiteln 4 und 5, in denen er die Grundlagen für sein Modell entwickelt, nicht mehr auf die Game Studies zurück. Vielmehr bezieht er sich im Hinblick auf die Frage nach der Funktion der Erzählung im Computerspiel auf Barthes’ Modell der Kerne und Katalysen sowie auf das “Storyworld”-Konzept von Herman (interessant wäre es gewesen, dies mit dem Konzept der “Diegese”, wie es im filmwissenschaftlichen Kontext von Souriau entwickelt wurde, abzugleichen). In Bezug auf die Spieltheorie geht Backe auf die Klassifizierung von Caillois zurück. Arbeiten zum Computerspiel, die diese Ansätze bearbeiten und für das Computerspiel fruchtbar gemacht haben, werden hier nicht mehr erwähnt.
Schließlich entwickelt Backe im siebten Kapitel sein “Strukturmodell des Computerspiels” mit Rückgriff auf diese Ansätze auf 22 Seiten, an die noch einmal eine 20-seitige Typologie, inklusive knapper weiterer strukturierender Überlegungen, angeschlossen wird. Das Modell selbst arbeitet sehr kleinteilig mit einer Dreiteilung von Sub-, Mikro- und Makrostrukturen, in die Erzähl- und Spielelemente eingeordnet werden. Abgeleitet werden diese Ebenen von Weltregeln, Spielzielen und Metaregeln. Während auf der Ebene der Substrukturen das spielerische paidia zum Tragen komme, wirke auf der zweiten Ebene der ludus, der Spielziele vorgibt. Auf der dritten Ebene schließlich kämen erzählerische Prinzipien zum Tragen. Diese Ebene spricht er einem Spiel zweiter Ordnung zu, einem Interpretations- oder Rezeptionsspiel.
Ist man an strukturalistischer Erzählforschung interessiert, so ist Backes Modell durchaus einen zweiten Blick wert. Im Konzert der Game Studies stellt es jedoch nur einen Vorschlag unter anderen dar, der es leider unterlässt, vorhandene Überlegungen vollständig und produktiv einzubeziehen, und dazu neigt, (etwa durch seine Konzentration auf die von ihm so genannten “narrative gaming studies”?) andere Ideen zum Thema ganz zu ignorieren. So findet sich z. B. keine Referenz auf Überlegungen zu Regeln, wie sie in den Game Studies von Järvinen sowie Salen und Zimmerman vorgelegt wurden, aber auch im sprachwissenschaftlichen bzw. philosophischen Kontext von Searle und Wittgenstein.
Links:
Über das BuchHans-Joachim Backe: Strukturen und Funktionen des Erzählens im Computerspiel. Eine typologische Einführung. Würzburg [Königshausen & Neumann] 2008, 448 Seiten, 48,&ndash Euro.Empfohlene ZitierweiseHans-Joachim Backe: Strukturen und Funktionen des Erzählens im Computerspiel. von Neitzel, Britta in rezensionen:kommunikation:medien, 27. April 2010, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2610
Hi,
ich habe das Buch gelesen und kannes nur empfehlen!