Konrad Dussel: Bilder als Botschaft

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Rezensiert von Ursula E. Koch

Einzelrezension

2019 kann für die Geschichte der Presseillustrationen, vor dem Fernsehzeitalter das wichtigste allgemein zugängliche Bildmedium, als ein Bestjahr angesehen werden. In diesem Jahr erschien sowohl das faktenreiche “Künstlerlexikon” Bilder in der Presse des Kunst- und Kulturhistorikers Detlef Lorenz als auch die vorliegende Publikation des auf Mediengeschichte spezialisierten Mannheimer Historikers Konrad Dussel. Der Titel seines Werkes, eine Pionierarbeit, bezieht sich auf die vor mehr als 50 Jahren von dem kanadischen Philosophen und Kommunikationstheoretiker Marschall McLuhan aufgestellte These “Das Medium ist die Botschaft”.

Untersuchungsgegenstand sind die “Bildstrukturen” (also nicht einzelne Schlüsselbilder oder Ikone), die in drei ideologisch unterschiedlichen “Illustrierten”, einer bislang in der Forschung vernachlässigten Pressegattung (Gesamtauflage 1929 schätzungsweise über fünf Millionen), als “eigentliche Botschaft” (17) veröffentlicht worden sind. Im Einzelnen handelt es sich – von Konrad Dussel aus mehreren einschlägigen Titeln (vgl. 41-45) ausgewählt – um die linksliberale Berliner Illustri[e]rte Zeitung (BIZ, 1892-1945), dank ihres billigen Preises im Einzelverkauf die Marktführerin, die konservative illustrierte Zeitschrift Die Woche (WO, 1899-1944) und das nationalsozialistische Parteiorgan Illustrierter Beobachter (IB, 1926-1945; seit Oktober 1928 wöchentlich), Produkte der Groβverlage Ullstein/Deutscher Verlag (Berlin), Scherl/Hugenberg (Berlin) und Franz Eher Nachf. Verlag (München, NSDAP).

Während des in sieben Abschnitte unterteilten Untersuchungszeitraums von vier Jahrzehnten – Kaiserreich-Vorkrieg; Erster Weltkrieg; die frühe, die mittlere (die “goldenen Jahre”) und die späte Phase der Weimarer Republik; NS-Staat-Vorkrieg; Zweiter Weltkrieg – sind in den genannten Illustrierten schätzungsweise 250.000 Bilder veröffentlicht worden. In Anbetracht der Zeitspanne und der Materialfülle kam daher als inhaltsanalytische Untersuchungsmethode, ergänzt durch eine kursorische Durchsicht sämtlicher Bände und qualifizierende Einzelfallbetrachtungen, nur die systematische, von einem Codierer-Team durchgeführte “Stichprobe” in Frage: pro Jahrgang je drei aufeinanderfolgende Nummern von Mitte Februar bis Anfang März und von Mitte September bis Anfang Oktober. Auf diese Weise wurden in insgesamt 587 Heften (überwiegend Papierausgaben, ergänzt durch Microfilme) 30.068 Bilder (fast 25.000 Fotos, Zeichnungen, Gemäldewiedergaben, Schaubilder) empirisch ermittelt und in ihrem jeweiligen “unauflöslichen” Textzusammenhang (160) gedeutet.

Ihrer Auswertung im Einzelnen gehen für ein heutiges Lesepublikum nützliche Betrachtungen von medienhistorischer Relevanz voraus. So gibt Kapitel II zunächst einen Überblick über die in jener Zeit in unterschiedlichen deutschen Städten erschienenen “eindeutigen” Illustrierten, wobei Deutschlands langlebigste, die in Leipzig herausgegebene Illustrirte Zeitung (1843-1944) – zwar kein Massenblatt, aber bis heute wegen der Qualität ihrer Bilder eine kunst- und kulturgeschichtliche Quelle – nur nebenbei Erwähnung findet.

Es folgen Angaben zur Geschichte und inhaltlichen Struktur der drei Untersuchungsobjekte unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen politischen, ökonomischen und publizistischen Kontexte. In Kapitel III erfährt man Näheres über die bebilderten Titelseiten, die Bildrepräsentationsformen, Bild-Text-Relationen und Bildzusammenhänge bei den “journalistisch verwendeten” Bildern. So erlebte insbesondere das Layout der noch im 19. Jahrhundert gegründeten, sich an ein “bürgerliches” Käufer- und Lese-Publikum wendenden BIZ und der WO in der zweiten Phase der Weimarer Republik, der “Zeit der groβen formalen Experimente” (156), einen regelrechten Modernisierungsschub.

Kapitel IV befasst sich, weitmöglichst mit biografischen Angaben versehen, mit den Bildproduzenten der BIZ, der WO und des IB. Im Zentrum stehen zunächst die nicht selten einen Prominentenstatus besitzenden, “vom harmlosen Witz bis zum kämpferischen Kriegsbericht” eingesetzten Pressezeichner. Hier seien ergänzend die in der Stichprobe nicht auftauchenden prominenten Namen George Grosz, Käthe Kollwitz und Heinrich Zille genannt, die nicht allein in den damals sehr beliebten illustrierten Satire-Zeitschriften zu finden sind, sondern auch in der BIZ. Dank des Siegeszugs der Momentfotografie und der Verbreitung der Fotoreportage wurden dann für die Illustrierten die oft nicht namentlich genannten Fotografen und Fotografinnen zunehmend, aber nicht ausschließlich wichtig. Den einen wie den anderen sollte, wie übrigens auch den Chefredakteuren, nach 1945 vereinzelt ein Neustart gelingen.

Nach diesen, in die Materie einführenden Informationen geht es in den folgenden Kapiteln um die “Dimension des gesamten Bildraums” (270). In Kapitel V werden die unter mehrfach wechselnden Regimen sich zum Teil gravierend verändernden Bebilderungs-Strategien der drei weltanschaulich so verschiedenen Illustrierten unter drei Aspekten unter die Lupe genommen: Politische Bilder und ihr direktes Umfeld (Karikaturen, Soziales, Militär und Krieg), gefolgt von “Bildung” und “Unterhaltung”. Unter die erstgenannte Kategorie (mehr als 11.000 Bilder) fallen auffällig viele Titelseiten mit politischen “Akteuren”: Einzelpersonen wie die Staatsoberhäupter Wilhelm II., Friedrich Ebert, Hindenburg und Hitler, zwei Personen oder ganze Gruppen, stets in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit einem Text (unmittelbare Bildlegende, Artikel).

Kapitel VI ist für die Forschung mehrerer Disziplinen interessant. Es befasst sich mit dem “Spagat” der dominierenden Bilder zwischen den zwei “Groβthemen” Bildung und Kultur (9.244 Bilder) sowie Unterhaltung (9.523 Bilder). Hierbei wurde das erstgenannte Thema für die Analyse in vier Kategorien (Kunst und Kultur, Theater, Landschafts- und Stadtansichten sowie Technik, Wissenschaft und Wirtschaft) unterteilt und das zweitgenannte der Übersichtlichkeit halber sogar in elf: Buntes, Film, Mode, Sport, Sonstiges, Tiere, Unfall/Unglück, Verbrechen sowie Humor, allgemeine und militärische Witze. Hervorgehoben sei hier nur folgendes Ergebnis: In den Kriegsjahren 1939-1945 waren die in den vorangegangenen sechs Phasen mehr oder weniger nachrangigen Humor- und Witzzeichnungen “kriegswichtig” geworden und trugen schlieβlich mehr als die Hälfte zum Hauptthema Unterhaltung bei.

Weitere untersuchte Kategorien waren “unpolitische”, “bildende” und “unterhaltsame” Bilder mit politischen Kon-Texten (als Beispiel diene der anfangs im IB mit 23,6% anzutreffende, dann Ende der 1930er Jahre, wohl mit Rücksicht auf die Leserschaft, auf 6,4% und nach 1933 sogar auf 5,6% zurückgefahrene Antisemitismus; vgl. 427), ferner Bilder mit oder ohne Menschen, die Darstellung mit oder ohne Namensnennung von Männern und Frauen bzw. das Reich, Europa (61%) und die ferne Welt mit dem “neuen Fixpunkt”, die USA.

Das VII., von dem Erfurter Kommunikationswissenschaftler Patrick Rössler verfasste Abschlusskapitel (“Die Bilder und die Vielfalt der Berichtsanlässe”) geht der Frage nach, in welchem Umfang in den untersuchten Illustrierten in einem gegebenen Zeitabschnitt über ein und dasselbe Geschehen in gleicher oder ähnlicher Weise berichtet worden ist. Untersucht in Bezug auf eventuelle Foto-Überschneidungen wurden insgesamt 9.136 Berichtsanlässe in zwei Zeitabschnitten: bis 1926 (IBZ, WO) und ab 1927 (BIZ, WO, IB). Das Ergebnis ist “ebenso eindeutig wie unerwartet”. Sowohl die BIZ als auch die WO und der IB zeichneten sich durch hohe Exklusivanteile aus und enthielten selbst nach 1933, also in einer Epoche strengster Kommunikationskontrolle und -beeinflussung, relativ wenig gleiche oder ähnliche Bilder. Vielmehr konfrontierten sie dank einer “breiten motivischen Vielfalt” ihre Leserschaft “mit einer jeweils eigenen Bildwelt” (485 f.).

In seiner Zusammenfassung erörtert Konrad Dussel nochmals sein methodisches Vorgehen, nicht ohne, wie schon an verschiedenen früheren Stellen, die natürlichen Grenzen der gewählten zeit-, geld- und arbeitsaufwendigen Stichprobe anzusprechen. Mit dieser Art von Inhaltsanalyse wurden einerseits durchaus erwartbare Ergebnisse erzielt, aber andererseits – und dies sei hier ausdrücklich betont – auch eindeutig verblüffende, insbesondere während der NS-Zeit.

Abschlieβend sei an dieser Stelle noch lobend erwähnt, dass der Autor in seine Überlegungen nicht nur, wie allgemein üblich, bisher vorliegende Forschungsergebnisse (man beachte die reichhaltige Bibliografie) miteinbezieht, sondern auch des Öfteren seine Leser und Leserinnen, in Form eines Frage- und Antwortspiels. Obwohl dieses imposante Werk (zu bedauern ist nur die mindere Qualität der stets mit groβer Sorgfalt kommentierten Abbildungen), das trotz seiner Zahlenfülle und mancher Wiederholungen angenehm zu lesen ist, als bahnbrechend und wegweisend bezeichnet werden kann, bleiben noch, wie Konrad Dussel selbst einräumt, viele Fragen offen. Es ist daher zu wünschen, dass die Denkanregungen dieses Medienhistorikers in das eine oder andere künftige, möglichst internationale kommunikationswissenschaftliche oder interdisziplinäre Forschungsprojekt Eingang finden wird.

Literatur:

  • Detlef Lorenz: Bilder in der Presse. Pressezeichner und Presse-Illustrationen im Berlin der Weimarer Republik. Dokumentation und Künstlerlexikon. Berlin [Lukas Verlag] 2019

Links:

Über das BuchKonrad Dussel: Bilder als Botschaft. Bildstrukturen deutscher Illustrierter 1905–1945 im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Publikum. Unter Mitwirkung von Patrick Rössler. Köln [Herbert von Halem] 2019, 552 Seiten, 44,- Euro.Empfohlene ZitierweiseKonrad Dussel: Bilder als Botschaft. von Koch, Ursula E. in rezensionen:kommunikation:medien, 2. März 2021, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/22645
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