Rezensiert von Christian Schwarzenegger
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Festgemacht wird der Wechsel von Öffentlichkeiten an jeweils dominierenden medientechnischen Verbreitungsmöglichkeiten, hier Leitmedium genannt. Der Übergang zur nächsten Öffentlichkeit ergibt sich somit aus einem Wandel des Leitmediums: “Die nächste Öffentlichkeit ereignet sich auf der Grundlage digitalisierter Zeichen, ihr Leitmedium ist der Computer“ (1). Bemerkenswert ist dabei, dass damit alles, was im Computer passiert, auf einer Ebene gesammelt wird. Unterschiede scheinen zunächst einmal nachrangig: dadurch nämlich, dass die Welt der digitalen Zeichen für potentiell nahezu jedermann zugänglich ist und dies praktisch in allen Rollen sowohl als Kommunikator wie auch als Rezipient, “stehen alle Weichen auf Entgrenzung und Entdifferenzierung“ (134). “Der großen offenen Frage, welche neuen Strukturen der Kommunikation sich etablieren, wollen wir für das Öffentlichkeitssystem nachgehen“, formulieren sie auf Seite 134 – man hätte sich eine entsprechende Positionierung vielleicht zu Beginn des Buches erhofft und dann gern mehr argumentativen Raum konkret darauf verwendet gesehen. “Die Alternative zu bestehenden Strukturen heißt andere, nicht keine“, (134) führen sie aus und öffnen damit den Fokus auf einen weitergehenden Wandel dessen, was unter Öffentlichkeit neu gedacht oder verstanden werden kann. Polarisierte Potentiale, die sich aus dem medienkommunikativen Wandel für verschiedene Öffentlichkeitsformen ergeben, werden dann knapp diskutiert.
Bis dahin spricht das Buch eigentlich immer über solche Öffentlichkeit, die durch professionelle Kommunikatoren in vier Leistungssystemen hergestellt wird. Die Autoren gehen davon aus, dass jede öffentliche Kommunikation einem der vier Leistungssysteme zuzuordnen ist, wobei die Systeme jeweils (auch zunehmend) Strukturelemente der anderen adaptieren (vgl. 69). Alle befassen sich mit der öffentlichen Verbreitung von Information (der Gesellschaft über sich selbst). Die Verschiedenheit der Leistungssysteme ergibt sich aus deren unterschiedlichen Leitdifferenzen. Als Leistungssysteme sind der Journalismus (Leitdifferenz: “Aktualität“), die Öffentlichkeitsarbeit (“Überzeugen“), Werbung (“Verführen“) und Unterhaltung (“angenehmes Erleben“) ausgeführt.
Journalismus und Öffentlichkeit werden danach hinsichtlich ihrer Evolution, d. h. hier Veränderungen, in der Praxis der jeweiligen Kommunikationsfelder und angesichts von Grenzverschiebungen zu anderen Leistungssystemen diskutiert. Zwischen Journalismus und Unterhaltung wird bspw. an Formaten wie Celebrity-Journalismus festgemacht, dass Entscheider davon ausgehen, dass Publika “offenkundig durch andere Inhalte zu gewinnen sind“ als durch traditionellen Journalismus. In der Öffentlichkeitsarbeit wiederum wird Journalismus immer erfolgreicher simuliert und in manchen Fällen werden die Grenzen zur Werbung verwässert. Hier argumentieren Hoffjann und Arlt anschaulich entlang aktueller Entwicklungen. Es folgt die “Evolution der Öffentlichkeit“. Hier stehen Journalismus und Werbung (herausgefordert und kriselnd) einerseits und Öffentlichkeitsarbeit (boomend, immer wichtiger) andererseits, was primär anhand ökonomischer Gründe erklärt wird.
Erst im letzten Kapitel “Der Extremismus der Online Öffentlichkeit“ wird wieder auf den technischen Bedingungscharakter für Öffentlichkeit anhand der digitalisierten Zeichen eingegangen, der uns bereits im allerersten Satz des Buches begegnet war. Dies erscheint insofern unverbunden zu vorherigen Abschnitten, da sich die Argumentationsebene teils verschiebt, weg vom Systemischen oder konkret Praxisnahen, hin zur Auseinandersetzung mit Potentialen des binären Codes.
“Neue Medien lösen alte Debatten aus“ (129), bringen sie die Einführung neuer Medientechnologien historisch konstant begleitenden Heilserwartungen und Apokalypsenängste gut auf den Punkt. Allerdings: Digitalisierung per se ist als Phänomen so neu nicht mehr, und die immer weiter ausdifferenzierten Anwendungsmöglichkeiten sind schwierig unter dem einheitlichen Begriff zu fassen, ohne dessen eigene Evolution und Binnendifferenzierung weiter mitzudenken. Es werden in diesem letzten Abschnitt grundlegende Fragen aufgeworfen, die sich für den Wandel von Öffentlichkeit formulieren lassen. Auf wenigen Seiten werden Phänomene beschreiben, die nicht so neu wirken, um damit eine “nächste Öffentlichkeit“ zu fassen. Zur Beschreibung aktueller Paradoxien taugen sie aber gut.
Aspekte wie Transnationalität, die unklar werdenden räumlichen Bezugsgrößen von Öffentlichkeit oder auch zivilgesellschaftliche Akteure einer Öffentlichkeit von unten, für die sich angesichts der digitalen Kommunikation viele Fragen auftun, spielen für die hier verfasste Version der nächsten Öffentlichkeit keine erkennbare Rolle. Es bleiben somit viele interessante, auch rhetorisch trickreich verpackte und stimulierende Beispiele, neben Bereichen, zu denen man vergebens etwas zu hören erhofft oder erwartet hätte.
Das Buch Die nächste Öffentlichkeit überzeugt am meisten dort, wo es sich mit der ‘bisherigen’ Öffentlichkeit befasst und in gut lesbarer Form schnellen und kompakten Zugriff auf systemtheoretische Überlegungen und anwendungsnahe Veränderungsszenarien eingeht, denen sich professionelle Kommunikatoren gegenübersehen. Die Theorie einer “nächsten Öffentlichkeit“ die es verspricht, liefert es aber nicht.